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Das Jahresmagazin von Innosuisse 2020

Themendossier

World-Leading-Innovation – Swiss made

Was macht Schweizer Innovationen Weltklasse?

Beim Thema Innovation nimmt die Schweiz in internationalen Rankings seit Jahren einen Spitzenplatz ein: In der aktuellen WEF-Studie liegt die Schweiz im Bereich Innovationsfähigkeit und -bereitschaft auf Platz 3 – gleich hinter den USA und Deutschland. Und gemäss dem Global Innovation Index ist die Schweiz gar das innovativste Land der Welt – zum zehnten Mal in Folge.

Zu diesem Spitzenplatz tragen einerseits die international renommierten Schweizer Hochschulen und Forschungseinrichtungen bei – und deren effiziente Zusammenarbeit mit Unternehmen. Andererseits spielen die Ausgaben eine Rolle: Kein anderes Land investiert pro Kopf so viel in Forschung und Entwicklung wie die Schweiz. Ein entscheidender Faktor für die hohe Innovationskraft sei aber auch das einzigartige duale Bildungssystem der Schweiz, sagt Alois Zwinggi, Managing Director des World Economic Forums (WEF) und seit Anfang 2020 Vorsitzender des Innovationsrats (IR) von Innosuisse. «Nehmen wir zum Beispiel einen Gärtner, der sich bis zum Forstingenieur hochgearbeitet hat: Durch die Kombination zwischen Praxis und Theorie ist er hervorragend ausgebildet, kennt die Bedürfnisse des Marktes und kann innovative Lösungen entwickeln.»

Kein anderes Land investiert pro Kopf so viel in Forschung und Entwicklung wie die Schweiz.

Entscheidend ist auch das sehr solide Banken- und Finanzsystem der Schweiz. Doch Geld allein ist noch kein Garant für die Innovationsfähigkeit der Schweiz. Es ist hierzulande immer wieder eine grosse Herausforderung, für Start-ups Geld zu finden.

Ein wichtiger Faktor, damit weltweit führende Innovation entstehen kann, ist die Vernetzung und die Bildung von Innovations-Ökosystemen. Und für die einzelnen Unternehmen ist entscheidend, dass sie Mitarbeitende mit den richtigen Kompetenzen finden – und dass sie bereit sind, immer wieder Neues zu lernen.

Technisches Know-how mit Spitzenforschung paaren

Ob Start-up, Organisation oder Unternehmen, das bereits länger auf dem Markt ist: Innosuisse bringt Schweizer Unternehmen mit exzellenten heimischen und ausländischen Forschungseinrichtungen zusammen – und ermöglicht so «world leading» Innnovationen. «Das Ziel von Innosuisse ist, das technische Know-how von Unternehmen auf eine nächste Stufe zu bringen, indem sie sie mit Spitzenforschung zusammenbringt», sagt Nicola Thibaudeau, Innosuisse-Verwaltungsrätin und Geschäftsführerin der MPS Micro Precision Systems AG. «Das nützt allen: Die akademischen Partner arbeiten an praxisorientierten Lösungen und gewinnen dadurch Kompetenzen. Und das Unternehmen erhält Zugang zu Spitzenforschung – und zu einem ganzen Ökosystem. Das ist der Schlüssel für die Spezialisierung, die es braucht, um weltweit führend zu werden.»

Hier setzt auch das neue Innosuisse-Förderinstrument Flagship Initiative an: Konsortien aus Forschungs- und Umsetzungspartnern sollen verstärkt Themen aufgreifen sowie systemische Lösungen und neue Geschäftsmodelle entwickeln, die für das künftige Wohlergehen der Schweizer Bevölkerung relevant sind: zum Beispiel Fragen, wie Lieferketten oder Kommunikations-Infrastrukturen im Falle von Naturkatastrophen oder Cyberattacken stabil bleiben oder wie die Verwundbarkeit von Gesellschaft und Wirtschaft trotz demographischem Wandel reduziert wird. Oder wie sich die digitale Transformation – durch Covid-19 jäh beschleunigt – in Bereichen wie Bildung oder Tourismus bewältigen lässt. «Die Flagships sind inhaltlich umfassender als die regulären Innovationsprojekte und tendenziell auf längere Sicht ausgelegt. Diese enge Zusammenarbeit von Partnern aus verschiedenen Disziplinen fördert den gesamtheitlichen Blick auf die zu erarbeitende Lösung und verstärkt den systemischen Ansatz», erklärt Alois Zwinggi.

Um auf einem Gebiet Weltklasse zu sein, braucht es auch den Blick nach aussen.

Zugang zum internationalen Markt ermöglichen

Um auf einem Gebiet Weltklasse zu sein, braucht es aber auch den Blick nach aussen – und die grenzüberschreitende Vernetzung: Innosuisse ist wichtiges Verbindungsglied zu internationalen Förderprogrammen und unterstützt KMUs bei grenzüberschreitenden Innovationsprojekten oder auf der Suche nach internationalen Partnern. Innosuisse ermöglicht aber auch Start-ups die Teilnahme an Internationalisierungscamps. «Wir unterstützen Start-ups zum Beispiel auch bei der Präsenz an internationalen Messen», sagt Alois Zwinggi. «Zurzeit ist das gerade schwierig. Doch Messen werden nach der Corona-Pandemie wieder gefragt sein.» Denn der persönliche Austausch ist sehr wichtig – gerade auch im internationalen Markt.

3 Perspektiven

Der Schweizer Manager mit dem Draht zur ganzen Welt

Alois Zwinggi

ist Präsident des Innovationsrats von Innosuisse und hat als Managing Director des World Economic Forum WEF und ehemaliger Holcim-Manager grosse Erfahrung mit Schweizer Innovation im internationalen Kontext.

Was macht die Schweiz im Bereich Innovationen weltweit führend?

Es sind in erster Linie die ausgezeichneten Forschungsmöglichkeiten und -kapazitäten, die wir in der Schweiz haben. Das sieht man schon an der Anzahl Patente pro Kopf, bei denen wir einen Spitzenplatz einnehmen. Wir haben ein sehr gutes Bildungssystem – das ist ein ganz wichtiges Element unserer Innovationsfähigkeit. Zudem verfügen wir über ein sehr solides Banken- und Finanzsystem.

Ich sehe aber noch Verbesserungsbedarf: Im Vergleich zu anderen Ländern gibt es hierzulande in gewissen Bereichen viel Bürokratie, gerade zum Beispiel, wenn man eine eigene Firma gründen will. Kommt dazu, dass in der Schweiz ein Konkurs immer noch oft mit Naserümpfen quittiert wird. Dieses kulturelle Stigma zusammen mit den komplexen Vorgängen bei Unternehmerfragen sind für Innovation nicht gerade förderlich. Zudem gehört das Schweizer Zollsystem weltweit zu den komplexesten. Das ist eine Herausforderung für Start-ups, die ihre Lieferketten im Ausland haben und hierhin importieren. Und macht es für Unternehmen auch schwierig, in anderen Ländern zu agieren.

Was sind die wichtigsten Voraussetzungen für einen Markt, damit weltweit führende Innovation entstehen kann?

Es braucht erstens die Bildung von Innovations-Ökosystemen – da gibt es in der Schweiz bereits sehr schöne Beispiele um die eidgenössischen Hochschulen EPFL und ETH herum – wie das Drone Valley oder das Swiss Food and Nutrition Valley. Zunehmend entstehen auch um die Fachhochschulen Schwerpunkthubs, wie das Beispiel rund um Life Sciences im Bereich Nordwest-Schweiz zeigt oder der Hub für Tourismusfragen im Kanton Graubünden. Künftig muss man noch mehr solcher Ökosysteme etablieren.

Für ein gesundes Ökosystem braucht es innovative Forschung, aber auch Anwender: Start-ups sowie etablierte Firmen. Um international Erfolg zu haben, ist für Unternehmen die Nähe zur Forschung eines der Schlüsselelemente. Das habe ich während meiner jahrelangen Tätigkeit für die Baustoff-Firma Holcim immer wieder gesehen.

Und drittens braucht es das Interesse und die Bereitschaft der Politik sowie der Bevölkerung, sich in ein bestimmtes Thema zu vertiefen und sich ihm gegenüber aufgeschlossen zu zeigen.

Was braucht ein Unternehmen, um an die Weltspitze zu gelangen?

Talente sind sehr wichtig. Man kann als Firma nicht den Anspruch erheben, in einem bestimmten Thema weltführend zu sein, und dann nur Generalisten an Board haben. Man muss die richtigen Leute mit den richtigen Kompetenzen rekrutieren. Es braucht auch eine Unternehmenskultur, die Innovation fördert und die Bereitschaft, lebenslang zu lernen. Eine weitere Zutat für World-Leading-Innovation ist die Fehlerkultur – eine Organisation, die Probleme unter den Teppich kehrt, wird es langfristig schwierig haben, innovativ zu sein. Und schlussendlich braucht es eine grosse Kundennähe – um Bedürfnisse zu wecken und sie zu antizipieren.

Die CEO eines weltweit führenden Unternehmens

Nicola Thibaudeau

steht seit 2003 an der Spitze der MPS Micro Precision Systems AG in Biel und hat die Zahl der Mitarbeitenden von 120 auf 400 erhöht. Sie sitzt zudem in verschiedenen Verwaltungsräten, auch bei Innosuisse.

Sie sind Geschäftsleiterin eines Unternehmens, das klein anfing und heute in der Medizintechnik oder im Bereich Optik weltweit führend ist. Wie erobert man als Schweizer KMU den internationalen Markt?

Als ich MPS übernahm, haben wir uns überlegt, wie wir auf bisherigem Wissen aufbauen und es weiterentwickeln können. Wir hörten auf, uns mit Produkten zu beschäftigen, für die wir nicht die richtige Kompetenz hatten und konzentrierten uns auf Schlüsselbereiche, in denen wir schon viel wussten – zum Beispiel auf Mikrosysteme für Uhren. Das Unternehmen hatte darin seit 1936 Erfahrung, und wir verfügten über entsprechende Fabriken im Jura. Neben Spezialisierung braucht es aber auch Innovation: Am Anfang brachten wir jedes Jahr eine Innovation auf den Markt – wenn möglich mit einem neuen Patent. Nach ein paar Jahren zahlte sich das aus – und der Markt kam von selbst auf uns zu. Mit einer Spezialisierung allein kann man zwar Erfolg haben, aber meist nur sehr kurzfristig.

Weltklasse zu werden ist das eine, Weltklasse zu bleiben, das andere. Wie schafft man das langfristig?

In der Uhrenindustrie oder auch in der Orthopädie stellen wir einzigartige Produkte her. Es gibt nicht viel Konkurrenz in diesem Sektor. Manchmal stehen wir im Wettbewerb mit einem anderen Entwickler aus Japan oder den USA, wie zum Beispiel bei den internationalen Ausschreibungen für die Teleskope, die wir für Hawaii oder Südamerika entwickelten.

Es ist essenziell, etwas zu entwickeln, das sich vom Rest unterscheidet – oder patentiert wird. Patente können aber auch kontraproduktiv sein: Denn einige Kunden kaufen ein Produkt gerade wegen des Patentschutzes nicht – denn dann sind sie gezwungen, sich auf ein einziges Unternehmen verlassen zu müssen. Wenn Sie ein Auto kaufen und es nur einen Reifenhersteller gibt, kann man das Auto nicht mehr brauchen, wenn die Firma vom Markt verschwindet.

Ein Produkt zu haben, das die Bedürfnisse befriedigt, ist schon die halbe Miete. Dann muss man das Produkt aber auch noch verkaufen. Wenn man ein einzigartiges Produkt hat, aber sich nicht überlegt, wie man das Produkt auf den Markt bringt und genug Marktanteile erreicht, wird es schwierig, langfristig Erfolg zu haben.

Inwiefern hilft einem Unternehmen der Standort Schweiz, um international Erfolg zu haben?

Die Schweiz ist für uns eine sehr gute Basis, weil wir von hier sehr gut die Märkte erreichen, die genau das brauchen, was wir liefern können – die Präzision und die Fähigkeit, verschiedene Innovationen in einem System zu vereinen. Als Schweizer Unternehmen wird einem von Anfang an viel Vertrauen entgegengebracht, dass man die Ziele erreicht – sei es in der Entwicklung eines medizinischen Produkts oder eines Optiksystems. Und in der Schweiz können wir auf automatisierte Produktion zurückzugreifen. In einem Niedriglohnland wird manuell produziert – mit vielen Leuten. Dies braucht viel Ressourcen und ergibt nicht immer ein nachhaltiges und qualitativ zuverlässiges Produkt.

Problematisch ist aber, dass die Schweiz selber kein grosser Markt ist. Dies im Gegensatz zu den USA zum Beispiel: Wenn man dort ein Produkt für Spitäler entwickelt, kann man sein Produkt vor dem Export ohne grossen Aufwand breit testen. Wir hingegen entwickeln ein Medizinprodukt und erhalten zwar die Genehmigung von Swissmedic. Um das Produkt im Ausland zu verkaufen, brauchen wir aber die europäische CE-Kennzeichnung. Da die Schweiz nicht EU-Mitglied ist, gibt es einige Hürden auf dem Weg dorthin – verbunden mit hohen Kosten, Zeitverlust und einem höheren Risiko, dass wir die Zulassung am Ende doch nicht erhalten.

Die Start-up-Gründerin, die von der Schweiz aus Innovationen in Schwellenmärkten ermöglicht

Alisée de Tonnac

ist Co-Geschäftsführerin des Schweizer Unternehmens Seedstars, das die Lebensbedingungen in Schwellenländern mit Technologie und Unternehmertum verändern will.

In welchen Märkten sehen Sie das grösste Potenzial für weltweit erfolgreiche Innovationen?

Die Ausgangslage für ein Unternehmen in einem Schwellenland unterscheidet sich stark von demjenigen in Industrieländern wie der Schweiz: In Schwellenmärkten bewegen sich Start-ups hauptsächlich im Low-Tech-Bereich – es gibt dort keine technischen Hochschulen wie die ETH oder die EPFL. Die innovativen Geschäftsideen drehen sich meistens um die Frage, wie man einen möglichst grossen Anteil an Konsumentinnen und Konsumenten mit kleinem Budget erreicht. Üblicherweise geht es um Grundbedürfnisse, die gestillt werden müssen. Start-ups lösen lokale Probleme und nutzen die Möglichkeiten, einzelne Entwicklungsschritte, die industrialisierte Länder bereits hinter sich haben, zu überspringen.

Zum Beispiel hat sich die Konsumgüterindustrie in vielen Ländern in den letzten Jahrzehnten kaum verändert, und die Lieferkette geht immer noch über viele Stufen: Importeure, Händler, Grosshändler, Einzelhändler und so weiter. E-Commerce ist in Schwellenländern meistens noch keine Option, aber durch Digitalisierung kann man zunehmend die Mittelsmänner herausbringen. Möglich wird dies durch die wachsende Verfügbarkeit von Smartphones, die in solchen Ländern meist mit einem Prepaid-System funktionieren. In Nigeria schaut man zum Beispiel Filme mit einer Prepaid Card. Um solche Dienstleistungen – wie zum Beispiel auch Kleider, Gaskocher oder Güter der Landwirtschaft – zu verkaufen, braucht es Zugang zu Kredit- und Zahlungslösungen. Afrika südlich der Sahara hat sich zum weltweit führenden Anbieter von mobilen Geldtransferdiensten entwickelt und den Zugang zu Finanzdienstleistungen weit verbreitet. Auch in Agrartechnologie spielen afrikanische Länder weltweit eine grosse Rolle.

Was braucht ein Unternehmen in einem Schwellenland, um «world leading» zu werden?

Ich glaube, um erfolgreich wachsen zu können, sind die Herausforderungen für alle Unternehmenden weltweit dieselben: Man muss schnell den «Geldmuskel» spielen lassen, um grosse Talente anzulocken, die vielen Ausgaben zu bewältigen und sonstige Hindernisse zu überwinden, die sich einem beim Eintritt in den Markt stellen.

Im Gegensatz zu Industrieländern ist in Schwellenländern die Gründung einer Firma für die meisten die einzige Möglichkeit, Karriere zu machen. Und natürlich unterscheiden sich die Ressourcen: Viele Start-up-Gründerinnen und -Gründer müssen zusätzlich zum Aufbau ihrer Firma in ihrem Umfeld zuerst Dienstleistungen aufbauen, die bei uns in Europa bereits selbstverständlich sind. Ein Geschäft im E-Commerce kann man hierzulande bereits auf einer sehr effizienten Infrastruktur betreiben, da wir hier über sichere Zahlungsmethoden, effiziente Transportwege oder sichere Warenlager verfügen. In vielen Regionen der Welt müssen die Unternehmenden zuerst die Lieferkette aufbauen, um überhaupt verkaufen zu können. Das erging dem Sieger unseres Wettbewerbs Seedstars World Competition von 2018 so: Das Unternehmen Agrocenta aus Ghana wollte eigentlich zum Marktplatz für Kleinbauern und internationale Käufer werden. Doch schon bald musste Firmengründer Francis einsehen, dass er den lokalen Landwirtinnen und Landwirten zuerst Kredite gewähren musste, damit diese ihre Produktion steigern oder in Lagerhäuser investieren konnten – für eine höhere Qualität und Quantität ihrer Produkte. Agrocenta führt heute Kreditgeschäfte und besitzt grosse Warenhäuser.

Wie unterstützen Sie aus der Schweiz heraus Unternehmen in Asien, Afrika, Osteuropa und Südamerika?

Wir haben weltweit Trainingsprogramme sowie ein Finanzierungsmodell aufgebaut, die (angehenden) Unternehmerinnen und Unternehmern dabei helfen, ihr Geschäft auf- und auszubauen. Durch unseren Verbund von Experten, Mentoren und Investoren können wir diese Unterstützung an Regionen, Geschäftsfelder oder Geschäftsreife der einzelnen Start-ups anpassen. Wir sind in allen relevanten Schlüsselfeldern eines klassischen Unternehmer-Ökosystems tätig (Kultur, Finanzierung, öffentliche Hand, Märkte, Humankapital, Unterstützung), legen den Fokus aber auf das Humankapital. In unseren Ausbildungszentren können sich (angehende) Unternehmer Fähigkeiten und Kenntnisse aneignen und sich für die Herausforderungen von morgen rüsten. Denn das Fehlen von Talenten ist in diesen Märkten immer noch eines der Hauptprobleme. Bisher haben wir in 95 Ökosystemen über 30'000 Unternehmerinnen und Unternehmer ausgebildet und fast 4000 Start-ups unterstützt.