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Das Jahresmagazin von Innosuisse 2020

Von 0 auf 100: Maskenproduktion in der Schweiz

Ein schweizweites Konsortium aus Forschung, Gesundheitswesen und Industrie entwickelt innovative Maskenkonzepte zum effizienten Schutz gegen Viren sowie Technologien zur Wiederverwendung von Schutzmaterialien – für den Einsatz gegen Covid-19, aber auch für künftige Pandemien.

Beim Spritzwiderstand-Test wird untersucht, ob die Maske gegen Tröpfchen schützt.

Projekt-Tagebuch

«Die Fragen zur Maskenknappheit halten uns auf Trab.»

Prof. Dr. René Rossi

Leiter der Empa-Abteilung Biomimetische Membrane und Textilien

18. März 2020

Das Kantonsspital Winterthur und das Zürcher Unispital melden sich bei der EPFL und der Empa: Der Bestand an Masken werde knapp. Sie wollen wissen, ob es eine Möglichkeit gibt, Chirurgenmasken mehr als einmal zu verwenden.

Auch die beiden Textil-Branchenverbände Swissmem und Swiss Textiles fragen die Empa um Unterstützung an: Sie wurden vom Krisenstab des Bundes mit dem Start einer Maskenproduktion in der Schweiz beauftragt.

24. März 2020

Gestern haben wir mit Innosuisse über eine mögliche Unterstützung gesprochen. Wir nennen das Projekt ReMask – kurz für reusable mask, angelehnt an eines der Ziele, Masken wiederverwenden zu können. Heute haben wir uns zum ersten Mal als ReMask-Team getroffen – mit 15 einzelnen Instituten, Epidemiologen und Spitälern.

Die Auslegeordnung zeigt: Die bisher verbreiteten Maskentypen, FFP und die chirurgische Maske, sind nur bedingt alltagstauglich, und Masken aus einfachem Stoff – sogenannte Community-Masken – schützen ungenügend. Wir werden einen Kriterienkatalog erarbeiten, der vorgibt, was eine Community-Maske alles können muss.

3. April 2020

Ich arbeite seit über 25 Jahren bei der Empa, hatte aber noch nie solch intensive Arbeitstage. Gestern führten wir die ersten Maskentests im Spital durch. Daneben läuft auch viel Administratives. Heute wurde das ReMask-Team offiziell in die Expertengruppe der Swiss National Covid-19 Science Task Force aufgenommen. Und wir reichten unser Projekt bei Innosuisse ein.

28. April 2020

Vor wenigen Tagen veröffentlichte die Science Task Force den Policy Brief «Community Masks Specifications and Recommendations». Diese Qualitätsempfehlungen für textile Masken hatte das ReMask-Team nur innerhalb einer Woche erarbeitet. Und heute ergänzten wir den Antrag an Innosuisse – mit Fokus auf eine langfristige Strategie für Maskenproduktion in der Schweiz.

8. Mai 2020

Der erste Maskentyp unserer Industriepartner, die Ostschweizer Textilfirmen Forster Rohner AG und Schoeller Textil AG, erfüllt die Anforderungen der Science Task Force. Die Produktion von waschbaren Community-Masken in der Schweiz kann starten!

2. Juni 2020

Nachdem die Innosuisse am 13. Mai unsere Projekteingabe akzeptiert hat, treffen wir uns zum ersten Mal als neu geformtes ReMask-Team: Offiziell dabei sind nun die Verbände Swiss Textiles und Swissmem sowie 41 Industriepartner.

20. August 2020

Die Empa hat zusammen mit dem Prüf- und Zertifizierungsunternehmen Testex ein Prüfverfahren entwickelt, bei dem Textilmasken auf Filterfunktion, Spritzwiderstand, Tragekomfort, Wiederverwendbarkeit und Textilverträglichkeit getestet werden können. Die Masken der Schoeller Textil AG und Forster Rohner AG erhalten als erste das Testex-Label.

29. September 2020

Ein weiterer Durchbruch! Tests zeigen erstmals verbesserte Filtrations- und Komforteigenschaften auf einer laminierten Nanofasermembran. Die vor Viren schützende Deckschicht beeinträchtigt die Atmung nur noch minmal.

6. November 2020

Nach der Go/No-Go-Prüfung durch Innosuisse ist klar: Wir machen weiter! Mit dem wissenschaftlichen Fokus auf neuen Filtersystemen mit besserer Filtrationseffizienz und hohem Tragekomfort, Stoffen, die besser vor Viren und Bakterien schützen, um Masken sicherer zu machen, sowie der Wiederverwendbarkeit von Masken – für eine nachhaltige Schweizer Maskenstrategie.

8. Dezember 2020

Die erste wiederverwendbare Textilmaske erhält die Anerkennung als Chirurgenmaske des Typs I gemäss der Norm EN 14683:2019. Zudem veröffentlicht die Empa eine erste Studie über die Nachhaltigkeit von Masken. Sie zeigt, dass Baumwoll-Stoffmasken bezüglich Energieverbrauchs und Treibhausgasbilanz besser abschneiden als chirurgische Masken. Demgegenüber schneidet die chirurgische Maske bezüglich Wasserverbrauchs und Gesamtumweltbelastung besser ab als das Pendant aus Baumwolle.

22. Dezember 2020

Das Konzept für die SNV Schweizer Regel für Community-Masken steht. Mit dieser einheitlichen Norm können Konsumentinnen und Konsumenten Stoffmasken verschiedener Hersteller hinsichtlich verschiedener Parameter wie beispielsweise der Filtereffizienz miteinander vergleichen.

«Dank der raschen Unterstützung von Innosuisse waren wir in diesem herausfordernden Projekt viel dynamischer unterwegs. So haben wir unter anderem innert weniger Tage die ganze Maskenproduktion aufgebaut.»

Prof. Dr. René Rossi

Leiter der Empa-Abteilung Biomimetische Membrane und Textilien

Diese vier Forschungsziele verfolgt das einjährige Projekt:

  • Hohe Filtrationseffizienz bei Masken mit gleichzeitig hohem Tragekomfort (Luft- und Dampfdurchlässigkeit sowie komfortabler Sitz)
  • Effiziente virentötende Beschichtungen – nicht nur für Masken, sondern auch für medizinische Textilien oder Antiviren-Bezüge, zum Beispiel für Zug- und Flugzeugsitze
  • Langlebigkeit: Durch innovative Membrane und virentötende Beschichtungen sollen die Masken länger getragen werden und öfter als bisher und bei tieferen Temperaturen gewaschen werden können – ohne Verlust der Schutzwirkung.
  • Nachhaltigkeit: Chirurgenmasken sollen wiederverwendbar werden und so weniger Abfall produzieren. Geforscht wird auch an FFP-Masken, die biologisch abbaubar sind.

Interview mit Emanuel Forster

«Wir hätten nie gedacht, dass wir einst Masken herstellen.»

Emanuel Forster

Co-CEO Forster Rohner AG

Wie kamen Sie dazu, statt Haute Couture und Spitzenwäsche Stoffmasken zu produzieren?

Im März verschwanden all unsere Kunden schlagartig von der Bildfläche. In Italien, Frankreich, den USA und Grossbritannien gingen alle Läden zu, und wir hatten von einem Tag auf den anderen nichts mehr zu tun. Die Modebranche hängt stark ab vom persönlichen Kontakt, vom Reisen, von Fashion Shows.

Durch unsere Fabriken in China kamen wir früh in Kontakt mit dem Thema Corona und wir wussten, dass Masken ein rares Gut sind. Wir überlegten, wie sich unsere Stickmaschinen für die industrielle Fertigung von Masken nutzen liessen. Im Frühjahr 2020 kam der Bund auf den Textilverband zu und wir wurden mit anderen Firmen nach Bern eingeladen. Als die Task Force die Mindestanforderungen für Community-Masken herausgab, waren wir bereit: Wir haben uns bereits im Vorfeld mit anderen Textilern wie der Firma Schoeller ausgetauscht und verschiedene Tests mit der Empa gemacht. Ab Mai produzierten wir zusammen Masken.

Fiel Ihren Mitarbeitenden die Umstellung leicht?

Wir haben rasch ein gruppenübergreifendes Projektteam (Forster Rohner, Jakob Schlaepfer, Inter-Spitzen) zusammengestellt: Mitarbeitende der technischen Produktion, Designerinnen und Designer sowie Leute, die mit der Konfektion vertraut waren – ein tolles, motiviertes Team. Eine solche Umstellung liegt natürlich nicht jedem: Ein paar wenige fanden es eine blöde Idee, Masken zu produzieren. Vor einem Jahr hätten wir uns alle noch nicht ausgemalt, dass wir dereinst Masken herstellen. Allerdings sind wir uns in der Modebranche daran gewöhnt, kurzfristig zu denken und sehr schnell und flexibel zu arbeiten.

War Corona für Ihr Unternehmen eine Belastung oder auch eine Chance?

Auch wenn uns die Maskenproduktion bis Ende Jahr etwas über die Runden geholfen hat: Wir sind weit entfernt vom Geschäft in normalen Jahren. Das Jahr 2020 war für uns sehr belastend und nervenaufreibend. Die, die noch arbeiteten, hatten noch nie so viel zu tun wie im letzten Jahr. Zudem traf das Coronavirus einzelne Mitarbeitende und ihre Familien gesundheitlich hart. Und einige unserer Kunden wird es nach der Krise nicht mehr geben.

Mittelfristig bietet die Pandemie aber auch eine Chance für Neues, weil alles aufgebrochen ist. Wir nutzten die Zeit, um zu reflektieren, was wir anders machen können und beschleunigten einige Pläne, die im Raum standen, zum Beispiel Bauprojekte oder Umstrukturierungen. Und wir überlegten uns, wie wir künftig nachhaltiger produzieren können, zum Beispiel durch eine Reduktion des Wasserverbrauchs beim Färbeprozess.

Wenn die Pandemie vorbei ist, konzentrieren wir uns gerne wieder voll und ganz auf die Mode. Als Mitglied im von der Empa lancierten Projekt ReMask werden wir aber auch prüfen, ob es möglich ist, textile Masken in Zukunft auch im medizinischen Bereich einsetzen zu können. Dann können wir den grossen Erfahrungsschatz, den wir aufgebaut haben, weiterhin einsetzen.

Unterstützung durch Innosuisse

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